Hin- und hergerissen sein. Einerseits genießen, dass die Arbeit wieder Spaß macht. Das Gefühl, gemeinsam im Team was auf die Beine zu stellen, nachdem die Organisation so lange gelähmt war. Dennoch die Befürchtung, wie das Erreichte in den nächsten 15 Monaten wieder Stück für Stück von vermeintlichen Sachzwängen aufgefressen wird, bis am Ende eine grotesk verzerrte Form übrig bleibt, aus der wichtige Eigenschaften herausgenommen, im Gegenzug Pillepalle hineingepresst wurde von Leuten, die gute Ideen schon deshalb zerpflücken müssen, um ihre eigene Wichtigkeit im Unternehmen zu unterstreichen. Sicher, das ist im Moment Spekulation, aber es sollte mich schon sehr überraschen, wenn es ausnahmsweise anders wäre.

Dazu das Wissen, dass es einfach zuviel ist. Heute, morgen, übermorgen kulminiert der Stress, ich darf in jeweils vierstündigen Reviews (kennt eigentlich jemand ein gutes deutsches Wort?) meine drei Dokumente mit Produktspezifikationen freigeben, die in den letzten Wochen entstanden sind. Jeweils mit Telefonkonferenz in die Staaten, Netmeeting etc. und nicht zu vergessen zum ersten Mal in einem größeren Kreis, der einerseits immer noch in der alten Produktwelt lebt, die wir gerade verlassen, andererseits vom neuen Produkt erwartet, es werde nun endlich nicht nur alle Anforderungen der bestehenden, sondern auch noch der zukünftigen Welt umsetzen, in einer Entwicklungszeit, die ein Bruchteil der bisherigen sein soll.

Wie gesagt, ich bin zwiespältig, denn - und das ist verdammt nicht wenig - es macht seit langem auch wieder Freude. Sehen, dass etwas Sinnvolles entsteht, dass ich auch »schwierige« Kollegen für meine Vorstellungen gewinnen kann, mich von ihrer völlig anderen Denk- und Arbeitsweise nicht verrückt machen lasse, sondern sie als Bereicherung akzeptiere. Ein eher anstrengender Kollege beispielsweise, der tatsächlich einen bis auf die letzte Stunde ausgestalteten Plan für die vergangenen vier Wochen geschrieben und ständig auf dem Laufenden gehalten hat, ohne den wir (vor allem auch ich) unweigerlich den Faden verloren hätten. Daneben die Hoffnung, vielleicht am Ende doch die wichtigsten Ideen bis ins Produkt zu bringen.

Nebenher laufen die Umzugsvorbereitungen, um die ich mich im Moment noch kaum kümmern kann, was dagegen die Möwe tut, der ich dafür sehr dankbar bin. Und auch, wenn ich im Moment an der Ecke nichts ausrichten kann, beschäftigt mich sehr, dass mein Großer sich in den letzten Monaten immer mehr in etwas hereinsteigert, dass er nicht mehr zu mir kommen will, aber auch nicht mehr in seinen geliebten Fußballverein geht, dass er versucht, seine Mutter auf Schritt und Tritt festzunageln, nicht mal mehr ein paar Stunden bei seinen Großeltern bleiben will. Die Psychologin meint etwas von »Zwangsdenken«, hat aber offenbar auch nach mehreren Wochen noch keinerlei Rat, wie wir ihn aus diesem Film wieder rausbekommen. Das Schlimmste ist, zu sehen, wie unglücklich er selbst dabei ist. Auf der anderen Seite wissen, dass es nicht gut sein kann, wenn ein Neunjähriger mit seinem Verhalten über längere Zeit mittelbar bestimmt, wie sein kleiner Bruder sowie mehrere Erwachsene ihre Zeit verbringen. Dazu, von hier aus der Ferne mit den paar Telefonaten keinerlei Hebel zu haben, nicht an ihn ranzukommen - und zu mir kommen ist ja nicht mehr drin. (Glauben Sie mir, das hat keinen Zweck, ihn zu zwingen.) Ich vermisse die beiden.

Alles in allem laufe ich im roten Bereich. So, dass ich aus Angst vor Unaufmerksamkeit im Verkehr den Rest der Woche lieber mit dem Bus zur Arbeit fahre. Und mich auf die nächsten zwei Wochen freue, in denen wir endlich umziehen. Zwei Wochen Urlaub von der Arbeit. Wo ich nur schleppen, schrauben, wenig denken oder erklären muss. Die neue Wohnung wird schön. Dann wird auch der Kreisel in meinem Kopf aufhören sich zu drehen und ich schlafe wieder durch.
Kommentare 
oh ja, bremsen tut not in solchen situationen, und ein abstand von der fabrik, so wie es sich anhört erst recht.
eine veränderung, wie der anstehende umzug, die kann wunder wirken, was den grossen jungen angeht, eine gute zeit für sie, ihn mit viel präsenz vor ort vielleicht in das geschehen einzubeziehen und ihre beziehung neu zu definieren, ich drück mal die daumen...
[ link ]
Aber immerhin: es gibt ein Ziel, auf das man sich freuen kann! Wenigstens was!
[ link ]
Ja, das Ziel ist in der Tat gut. Und Vorfreude auch - gut wenn man das noch kann, in dem Stress.

Zum Sohn: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass solche wirren Ansichten oft auch verpuffen, wenn man wenig redet, dennoch liebe- und humorvolle Präsenz beweist und immerwieder betont, dass er willkommen ist. 9-jähre denken oft weniger als wir meinen. Man muss ihnen das Leben vorleben. Denn flutscht ein verrutschter Gedanke oft auch irgendwann wieder dahin wo er sollte. Geduld hilft meistens weiter.
[ link ]
Ich
habe die Erfahrung gemacht, dass 9jährige eher mehr denken, als wir annehmen. Oft nur eben anders, oft nur der Versuch, sich irgendwo im Denken angekommen zu fühlen - obwohl man noch auf der Suche, auf dem Weg ist. Schwer zu beschreiben, nicht einfach, damit umzugehen. Die richtige Mischung aus Respekt, Liebe, Belehrung, Konsequenz ist nötig. Ich weiß, das gibt 5 Euro ins Phrasenschwein. :o) Aber so schnell, wies gesagt ist, ist es eben nicht getan. Und es muss jedesmal etwas anders sein.
Aber wird schon. Bei diesen Eltern hab ich da keine Angst. :o)
Viel Glück die nächsten Wochen!
[ link ]
Verschiedene Ansätze, gleiche Umsetzung. ;o)
[ link ]
Uh, den Frust über wahrscheinlich zu erwartende Sachzwang-Übergriffe auf das Firmenbaby schon im vorhinein zu durchleben - das schmerzt. Es stellt die eigene Arbeit in Frage, und schwächt die Ideen schon im Vorfeld in ihrer Durchschlagskraft. Traurig sowas. Mörder des Idealismus treiben sich da rum. Ich hoffe, ihr könnt so viel wie möglich herüberretten.

Viel Erfolg mit dem Umzug, und mit der Nähe zu deinem Sohn!
[ link ]
Mitkreiselnde Grüße. Hingerissen bin ich von diesem Text, sonst ist alles Hergerissenheit, scheint's. Ich sollte schlafen.
[ link ]
zu wenig
Zeit, Auffassungsvermögen, Energie - das stresst manchmal ganz schön. Schade, dass es nicht einfach nur gut sein kann, dass sich eine gewisse Zufriedenheit nach der vergangenen Sinnkrise einstellen kann. Weil Probleme auftreten und ein Unzulänglichkeitsgefühl.
Ich wünsche Dir, dass sich alles findet und auflöst, dass der Urlaub hilft Abstand zu finden und ins Lot zu kommen. Und wenigstens ein neues schöneres Zuhause zu gestalten, eine gute Basis haben ist sooo wichtig:)
[ link ]
Klingt nach einer guten Gelegenheit sich zu verzetteln. Schwierig, da Schritt für Schritt zu gehen. Noch schwieriger, die Geschichte mit dem Jungen auszublenden. Vielleicht kommen die Dinge nach dem Umzug in Fluß. Ich drücke Ihnen allen die Daumen.
[ link ]
Habt Dank für die warmen Worte, die taten heute gut.

(Die erste Hürde ist genommen, trotz angestrengter Diskussion wurde nichts zerpflückt und selbst den indischen Amerikaner am Telefon konnte ich halbwegs verstehen. So kann es morgen weitergehen.)
[ link ]
Ich drücke alle Daumen, die ich habe. Und zerdrücke vielleicht sonst noch ein paar. Prophylaktisch.
[ link ]
...

Wichtig: Im ganzen Wust des Schlechten auch das Gute sehen. Vielleicht schaue ich mir das mal bei Ihnen ab.
Ich wünsch Ihnen was.
[ link ]
alles ein bisschen zuviel, wie´s aussieht. aber die basis stimmt: 1. keinerlei körperliche gebrechen und krankheiten - was das bedeutet weiß ich seit eingen tagen und wochen wieder zu schätzen, 2. nicht alleine sein - in solchen tagen ist ein partner oder sind gute freunde oft die retter in der not und 3. licht am ende des tunnels. wer so eine basis hat, der kann weit gehen und auch mal erschöpft umfallen, aber weich fallen.
[ link ]
sieht ja so aus als sei schon mal eine Hürde genommen, zumindest teilweise. Umzugsnöte kann ich gerade gut nachvollziehen, aber es tut eben auch gut, sich mal wieder mit so ganz "handfesten" Dingen zu beschäftigen. Und vielelicht läßt sich ja in der Tat beim Schrauben auch wieder mehr Gemeinsamkeit und Nähe schaffen. Vielleicht ja allein schon durch die neue Wohnsituation wieder. Drücke jedenfalls alle Daumen, da mir das am wichtigsten scheint letztendlich.
[ link ]
Diese Zerrissenheit, das schlechte Gewissen und diese Bedürfnis aus allem das Beste zu machen. Klingt irgendwie vertraut. Anstregenden! Aber es lohnt sich, oder? Auch von mir alles Gute und viel Spaß und Erfolg bei Kopf "freischrauben".
[ link ]
neue wohnungen..reinigen immer die seele.

zumindest habe ich die erfahrung schon oft gemacht. bei 8 umzügen.

:-)

viel erholung wünsch ich
[ link ]
Ja, es gibt immer einen Zusammenhang zwischen Wohnung und Innerem, in beiden Richtungen. Morgen noch mal ein paar Stunden in die Arbeit, und dann wird ein Plan für die nächsten zwei Wochen gemacht. Ha, ich freu mich schon drauf, die Küche aufzubauen!

(Und nochmal Danke Ihnen allen.)
[ link ]
(Übrigens wird das meine 9. Bleibe, seit ich vor 15 Jahren bei meinen Eltern ausgezogen bin. Jetzt ist dann hoffentlich auch mal gut.)
[ link ]
ooooh..auf eine neue küche hätt ich ja auch mal wieder lust! und wieder einen grund, neue möbel zu kaufen! ach..mein neid ist dir sicher.

ich hab mir vorgenommen, nur noch ein einziges mal umzuziehen.. das wäre dann auch der 9.
bin mir ganz sicher, dass der 9. umzug der glücksumzug ist!
[ link ]
Habe gerade mal durchgezählt, komme auch auf 8 in den letzten 20 Jahren. Hm, oder zählt ein Einzug zum Übergang für 2 Monate auch mit, dann hab ich schon die 9! Ansonsten darf der nächste ruhig noch auf sich warten lassen......
[ link ]