Was ich auch noch nie ertragen habe: diese Geschichts-Dokumentationen mit nachgestellten Szenen, wie sie seit einigen Jahren in die Fernsehkanäle gepumpt werden. Moderne Stummfilme mit umgedrehter Motivation: Eigentlich hat man hauptsächlich Text und nur wenige bewegte Bilder zur Verfügung, aber weil der Bildschirm nicht schwarz bleiben kann und man dem Publikum nicht zutraut, einem sprechenden Menschen mehr als zehn Sekunden zusehen zu wollen, müssen nun historisch korrekt gekleidete Darsteller stumm, doch innerlich bewegt zu Texten aus dem Off durch Studiokulissen stapfen oder ergriffen ins Nichts schauen. Dazu nölt im Hintergrund ein Synthesizer mit billigem Streicher-Sound vor, welche Emotion der Zuschauer gerade empfinden soll. Klebrig und anmaßend.

Gute Dokumentationen beschränken ihre Bilder - neben Interviews von Zeitzeugen oder Experten - auf authentisches Material, vielleicht unterstützt von Karten oder Simulationen, um komplizierte Vorgänge zu veranschaulichen. Sie lassen dem Zuschauer Raum, sich ein eigenes Bild zu machen, auch von den handelnden Personen und ihrer Motivation. Dazu braucht es keine pseudo-authentischen und letztlich informationsfreien Stummfilmszenen, keine mit Sülzmusik unterlegten, merkwürdig beleuchteten Großaufnahmen von Darstellern mit aufgerissenen Augen. Dazu reicht der unterlegte Text.

Wenn man schon anfängt, Bilder zu erfinden, dann auch richtig: in Form kompletter Dialogszenen (in Erinnerung blieb mir hier z. B. die herausragende Doku Deutschlandspiel über die letzten Tage der DDR) und nicht nur als Untermalung zu einem - vielleicht noch nicht einmal schlechten - Radiotext. Sonst muss ich spätestens nach fünf Minuten entnervt abschalten, so wie gestern bei dem Portrait von Gerd Bucerius, das mich eigentlich wirklich interessiert hätte.
Kommentare 
Das Phänomen hat einen Namen...
...und nennt sich »Knoppisierung«, nach Guido Knopp, dem Haushistoriker des ZDF. Der Mann wird wohl als Erfinder der geschichtsfreien Geschichts-Doku in die TV-Annalen eingehen...

Es ist wirklich ein Ärgernis: Statt Fakten und Hintergründen werden einem nur nebelschwadernde Fiktiv-Szenen, Zeitzeugen mit bewegenden, aber letztlich für den historischen Kontext belanglosen Erlebnisberichten und vor allem die immer gleichen Schwarz/Weiß-Wochenschau-Filmschnippsel in dramatisierender Zeitlupe zugemutet. Und auch ohne Werbeunterbrechung hat man nach 45 Minuten das Gefühl, für allenfalls zwei Minuten Substanz serviert bekommen zu haben.

[Und wieder kann ich ein geplantes Blog-Thema bei mir streichen, weil mir der Herr Blauhimmel zuvorgekommen ist. Vielleicht sollte ich ihm meine Materialsammlung vererben und das eigene Bloggen ganz bleiben lassen?! ;-)]
[ link ]
Historische Abläufe anhand der Geschichten einzelner Menschen zu illustrieren halte ich ja prinzipiell für ein hervorragendes Mittel, das Vergangene anschaulich und lebendig werden zu lassen. Es sind wohl plumpe Emotionalisierung mit schlecht gemachten Szenen und Hintergrundmusik, die mich letzlich abstoßen und wenn - wie Sie schreiben - am Ende statt Wissen kaum mehr als ein Gefühlsbild transportiert wurde...

(Herrje - vielleicht sollten wir unsere Themen zumindest geographisch untereinander aufteilen, soweit möglich? :)
[ link ]
Ich gehöre ja der armen Zunft der Autragnehmenden dieser teilweise verbrecherischen Produktionen an. Zu beschuldigen sind hier meiner Meinung weder die Kreativen noch die Produzenten. Das Dokudrama an sich ist ein Genre, das durchaus bereichernd sein kann für die dokumentarischer Erzählung- wenn denn gelungen erzählt. (immer wieder und gern zu sehen bei Channel4 und BBC, aber auch z.B. in Breloers frühen Filmen)
Ich behaupte, hinderlich am Gelingen sind die Sendeanstalten, denen es an Visionen und Augenmaß fehlt (und die lieber 2 Millionen € für ein Fußballspiel ausgeben als 100 000 € für eine Dokumentation). Da wird den gelungenen Auslandsproduktionen nachgeeifert aber kosten darf´s nicht ein Bruchteil der dort üblichen Budgets. Und an Mut mangelt es ohnehin.

Der Bucerius gestern war wirklich ein Verbrechen erster Güte, was hab ich gelitten! Und dabei war so bestechend schönes Archivmaterial eingeschnitten, das Zeitkolorit und die Leidenschaft dieses Mannes bis auch mein Spreesofa transportierte. Schade daß die Gräfin nicht mehr lebt. Für die Besetzung ihrer Rolle hätte sie sicher gemeuchelt und gemordet.

@zonebattler
Hier muss ich eine wirklich winzige Lanze für Herrn Knopp brechen. Er hat auch gute Produktionen bverantwortet und immerhin der Doku wieder zu einem Sendeplatz vor Mitternacht verholfen. Und für seine klassischen Dokus, das muss man ihm lassen, hat er einen sehr eigenen Look kreiert, der auch international Anerkennung findet. Daß er mit "Hitlers Schäferhunde" ein Millionenpublikum erreicht kann man ihm vorwerfen. Bei mir weckt es auch Annerkennung.

*Tschuldigung Herr Blue Sky, jetzt geh ich wieder an meinen Schreibtisch und reg mich da auf...*
[ link ]
Aber nein, Sie dürfen sich jederzeit bei mir aufregen, Frau Brittbee!

Zumal, wo Sie hier meinem Laien-Pamphlet auch noch Fachkenntnis entgegen setzen. Wie ich schon im letzten Absatz schrieb, Dokumentation in dramatischer Form aufzubereiten, halte ich nicht prinzipiell für schlecht, im Gegenteil.

(Ich habe gestern übrigens in dem Moment ausgeschaltet, als Klein-Gerd auf dem Boden saß und traurig sein Spielzeug hin- und herschob, weil seine autoritären Eltern sich nicht um ihn kümmerten.)
[ link ]
Zu den Knopp-Dokus kann ich übrigens nichts sagen, außer, dass mich Themen und Form (angefangen mit Moderator im Studio, so Bublathmäßig) nie gereizt haben, weiter zu gucken.
[ link ]
Ich habe den Bucerius bis zum Ende durchgehalten. Aber nur, damit ich mich heute konstruktiv aufregen kann. Ich kann Ihnen sagen, es kam noch dicker.

Moderation? Sie meinen die "ZDF History" Reihe? Die ist allerdings ein Verbrechen. Denn Herr Knopp moderiert Filme an, um den Eindruck zu erwecken, sie wären seine eigene Produktion. Und zu allem Übel schneidet er sie vorher nach Belieben um oder kürzt aufs Format runter, ohne Rücksprache mit den Autoren. Leider durfte er das auch mit meinem ganz persönlichen Herzensprojekt machen, dem schönsten Film, an dem ich je gearbeitet habe. Grr, ich bin einfach nicht nachtragend genug. Ich nehme alles Positive zurück, was ich im Kommentar davor über Herrn K. gesagt habe.
[ link ]
(Ich habe gestern übrigens in dem Moment ausgeschaltet, als Klein-Gerd auf dem Boden saß und traurig sein Spielzeug hin- und herschob, weil seine autoritären Eltern sich nicht um ihn kümmerten.)

Da schaltete ich gerade ein, fagte mich kurz, was haben die denn jetzt wieder verbrochen? und war schon wieder weg. Da bin ich wenigstens froh, daß mein Instinkt nicht getrogen hat.
[ link ]
Ich habe gestern gar nicht geguckt. Mich hat es letztens schon spontan aus dem Programm geworfen, als man von der Päpstin erzählte.
[ link ]
In Sachen Bucerius...
...könnte ich dem Herrn BlueSky mit einer mehrseitigen Würdigung aus der vorletzten Ausgabe der »Zeit« dienen, die ich bei Interesse gerne im Original versende...
[ link ]
Ha, die liegt noch bei mir rum. Danke für den Hinweis!
[ link ]
@britbee
Für mich ist die (heute scheinbar unerreichbar hoch liegende) Meßlatte für Qualitäts-Fernsehen im Wissenschafts-/Doku-Sektor weiland von Hoimar von Ditfurth (»Querschnitte«) gelegt worden: Der trat noch als Person in Ehrfurcht und Demut hinter den Gegenstand seiner Betrachtung zurück...

Gegen die moderne Form der Doku-Soaps an sich habe ich auch gar nichts einzuwenden, und die BBC macht ja immer wieder vor, wie so was gehen kann (z.B. mit Operatunity). Aber was man hierzulande geboten kriegt mit Knopp, Bublath & Co. ist ganz überwiegend ein stark verdünnter Aufguß ohne sonderlichen Nährwert.

Übrigens: Die spannendeste Ehe zwischen Geschichte und Geschichten (Fact & Fiction) ist meiner Meinung immer noch das hier gewesen!
[ link ]