Ist es überhaupt sinnvoll, eine Abbildung selbst mit dem Prädikat wahr oder falsch zu versehen, oder entsteht Wahrheit und Authentizität erst im Kontext und der (beabsichtigten) Interpretation? Anders gefragt: Inwiefern können Fotografien lügen und wo finge die Lüge dann an? Bei der Bildunterschrift? Dem Ausschnitt? Der Veränderung von Kontrast- und Lichtwerten? Von Oberflächen und Konturen? Erst mit Schnitt und Montage? Inszenierten Bildern? Was würde ein Werbefachmann dazu zu sagen haben, was ein Dokumentarfotograf, ein Nachrichtenjournalist, ein Militärsprecher?

Mit dieser Fragenwolke im Kopf ging ich gestern in die Ausstellung »Bilder, die lügen« im Museum Industriekultur Nürnberg, die als Wanderausstellung über einige Jahre durch die Bundesrepublik tourte und heute ihren letzten Tag hatte. Leider wurde nicht ansatzweise darauf eingegangen.

Was sie zeigt, und das streckenweise durchaus unterhaltsam, ist eine Stoffsammlung. Manipulationsbeispiele aus der Geschichte von Fotografie und Fernsehen, angefangen mit den allseits bekannten Stalin-Fotografien, aus denen Jahr für Jahr weitere unliebsam gewordene Personen verschwanden bis hin zum immer noch die Gemüter beschäftigenden vermeintlichen Schlagstock Jürgen Trittins. Die Macher der Ausstellung (uh, fürchterliches Wort) haben diese Sammlung mehr oder weniger beliebig nach Buchstaben von A bis Z gegliedert. Eine denkbar schlechte Wahl. So stehen B wie Michael Born neben C wie Comic, E wie Entnazifizierung neben F wie Führermythos, U wie Ufologie und W wie Werbung undsoweiter ohne Zusammenhang nebeneinander, für jeden Buchstaben eine Wand, alles vermeintlich gleichwertig: Methoden, Manipulatoren, Epochen, Inhalte.

Was hat die Zensur von Comics (z. B. das Verschwinden eines »Mein-K*mpf«-Buchs in einem Donald-Duck-Strip) mit dem Thema lügender Bilder zu tun? Was die offen als Manipulation erkennbare Methode des »Morphings« von Prominentenbildern zu Satirezwecken? Was um alles in der Welt hat die Wand »Optische Täuschung« in der Ausstellung zu suchen?
[Bildmanipulation durch geschickt gewählte Ausschnitte - Soldat hilft Opfer vs. Soldat bedroht Opfer]
wie der Ausschnitt die Aussage bestimmt
Und die Inhalte selbst sind leider dünn. Die spannendste Frage, nämlich wo die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge gesteckt wird, ob sie absolut ist oder je nach Kontext verschieden sein kann, wird wie gesagt nur kaum angeschnitten. Die Wand zum Thema Werbung, wo wahrscheinlich am meisten manipuliert werden dürfte, zeigt nur irgendwelche Anzeigenbilder ohne erkennbaren Zusammenhang (bis auf ein einziges Beispiel, nämlich wie ein paar farbige Arbeiter auf einem (Ford?-)Werbefoto in der polnischen Kampagne durch Weiße ersetzt wurden). Keine weitere Erklärungen, Einschätzungen, Zahlen. Nicht einmal ein Arbeitsbeispiel, wie in einer Agentur aus Einzelkomponenten Schritt für Schritt ein Gesamtbild gebastelt wird.

Dass - abgesehen von den wenigen nachträglich hinzugefügten Elementen unter Aktuelles - die ganzen digitalen Möglichkeiten von heute nur sehr wenig Raum finden, nun ja, was will man von einer 1998 konzipierten Ausstellung erwarten. Schade ist es dennoch, denn Qualität und Erschwinglichkeit der notwendigen Software sowie die schiere Quantität digital verarbeiteter und verbreiteter Bilder lassen Fragen der Glaubwürdigkeit von Fotografien (und inzwischen auch Filmen) bzw. Kennzeichnung von Manipulationen inzwischen wesentlich dringender werden.

Nun gut, die Wanderausstellung scheint sowieso beendet, zumindest habe ich keinen Hinweis auf weitere Städte gefunden, und das Museum Industriekultur, das jetzt für drei Monate für einen Umbau die Pforten schließt, hatte neben der Bilderaustellung auch noch schöne alte Motorräder, Dampfmaschinen und - für mich vor allem interessant - eindrückliche Nachbauten einiger Inneneinrichtungen aus der Zeit von 1910-1930 zu bieten. Darunter Geschäfte, ein Klassenzimmer, eine Zahnarztpraxis und eine typische Arbeiterwohnung (drei Fotos davon hier.) Auch erwähnenswert, dass die Angestellten so hilfsbereit und freundlich waren, wie ich es in Nürnberg schon lange nicht mehr erlebt hatte; ich durfte sogar fotografieren, alles zusammen wegen der bereits begonnenen Umbauarbeiten für nur zwei Euro Eintritt. Das muss man heute auch erst einmal finden.