Prerow ist ein kleiner, traditionsreicher Badeort mit gerade einmal 1500 Einwohnern, der sicher schon bessere Zeiten gesehen hat. Zu DDR-Zeiten sollen hier bis zu 20000 Badegäste in der Woche ihre Ferien verbracht haben, nicht wenige davon in Freikörperkultur an Deutschlands größtem FKK-Strand. Natürlich lebt der Ort immer noch in erster Linie vom Tourismus, wovon die vielen Ferienwohnungen-Schilder und Fahrradverleihe künden, und so mancher Neubau steht zwischen alten, oftmals rohrgedeckten Häuschen einerseits und schmucker, maximal zweistöckiger Bäderarchitektur andererseits.

Ich mag das. Aus der Nähe betrachtet
jedoch auch stark sanierungsbedürftig.
Irgendwie wurde nach der Wende wohl verpasst, der Gemeinde dauerhaft Einnahmen für den Ausbau der Infrastruktur zu sichern. So sind viele Wohnstraßen immer noch nicht asphaltiert und nicht wenige Häuser und Ecken könnten Sanierung vertragen. Ein Euro Kurtaxe pro Übernachtung reißt da sicher nicht allzuviel. Unsere in dieser Beziehung frustrierte Vermieterin erzählte, man habe zum Beispiel völlig unverständlicherweise den ehemals großen Zeltplatz aufgegeben, auf dem früher alleine wohl bis zu 10000 Gäste campierten. Der Nachbarort Zingst habe es dagegen besser gemacht. Dass Zingst deutlich besser ausgebaut und hergerichtet wurde steht außer Frage. Und dadurch, dass es nicht wie Prerow durch einen Streifen Wald vom Meer getrennt ist, hat es sowieso einen ganz anderen Grundcharakter. Aber, und das ist die Crux, offensichtlich ließ man die Bagger auch eine Menge Charme abtragen und durch gesichts- und geschichtslose Tristesse ersetzen.

Büsum? Zingst? Bad Kissingen?
Charme, den der kleine, verlebtere Bruder Prerow wohl gerade aufgrund seiner Patina und Ostigkeit zweifellos besitzt. Ich stelle mir diese Gratwanderung zwischen Tradition und Erneuerung nicht einfach vor; beide Orte haben sie jedenfalls nur teilweise gelöst.
Sich angesichts der wenigen verfügbaren Tage vergleichsweise verbissen erholen zu wollen steht immer unter einem wackligen Stern. Entsprechend fuhren wir ausgerechnet in den vier Tagen fort, an denen uns zuhause ungeahnte Frühlingstemperaturen umschmeichelt hätten, wohingegen an der Ostsee dicke Wolken und ein steifer Wind mit gefühlten fünf Grad Celsius auf uns warteten. So liefen wir am Sonntagabend und den ganzen Montag über eingepackt samt Stirnband und Schal durch Prerow und Zingst. (Ich fand ja, die Möwe sah aus, als trüge sie Burka. Für diese zweifellos richtige Beobachtung erntete ich allerdings ein Grummeln.) Am endlos scheinenden, feinsandigen Strand war es wegen des Winds nicht lange auszuhalten, es sei denn, man setzte sich eine Weile in einen der wenigen hingewürfelten und freundlicherweise unverschlossenen Strandkörbe.

flatter. flatter. flap.
Was der Küstenbewohner über unser Kälteempfinden denkt, wurde uns unmissverständlich gedeutet, als wir im »italienischen« Eiscafé saßen, um uns bei einem Milchkaffee zu wärmen. Auf meine Bitte schloss einer der vier deutschen Jungspunde, die hinter der Theke lungerten, die offene Eingangstür zwar ohne Widerspruch, aber nur um sie schnurstracks hinter unserem Rücken wieder aufzureißen, als wir das Café wenig später wieder verließen.

Der nächste Tag bescherte uns mehr Wetterglück. So war zwar der Wind nicht weniger oder wärmer geworden, aber zwischen den vorbeifliegenden Wolken riß es immer wieder auf. Wir liehen uns Räder und radelten durch den großen, geschützten Wald zum Weststrand. Knorrig, moosig, versumpft. Mystisch.

Märchenwunderwald
Am Ende des Wegs schließlich der Strand. Kein Kommerz, keine Autoparkplätze im Umkreis von Kilometern, kaum Menschen. Nur Wellen, Himmel, geheimnisvoll wechselndes Licht und Bäume, die ihre knochigen Finger in den Wind reckten. Der Augenblick, für den sich die ganze weite Fahrt gelohnt hat.

Urlaub. Wenn alles andere weit weg ist.
Am nächsten Morgen ging es wieder zurück, mit einem Tag Fürstenwalde dazwischen (und ein paar Stunden Berlin, wo wir mit dem auch realiter erzsympathischen Herrn Undundund einen Kaffee getrunken haben) schließlich nach Hause, wo auf dem Balkon ungeahnte Sommertemperaturen umschmeicheln. Doof nur, dass die Möwe schon wieder arbeiten muss.

[Noch ein paar Fotos in den Kommentaren.]