Ich könnte mal wieder über das Chaos auf der Arbeit schreiben, die Komplexität, die mich täglich an den Rand meiner Konzentrationsfähigkeit bringt, oder über meine Schlafprobleme. Ich könnte etwas über den Fotokurs schreiben oder über meine Zufriedenheit, dass das dienstägliche Schwimmen nach der Arbeit jetzt zur festen Gewohnheit geworden ist, wiewohl ich nur wenig Fortschritt in Fitness und körperlichem Wohlbefinden ernte. Ich könnte etwas über zwei Jahre rauchfrei schreiben, oder über drei Jahre Bloggen, oder mich mal wieder über Innenpolitik aufregen.

Aber mir ist nicht danach. Ich habe schlicht nichts zu sagen. Statt wie sonst stundenlang vor Fernseher oder Rechner zu sitzen, Blogs zu lesen und selbst was zu tippen, lese ich abends lieber nur ein Buch, höre vielleicht etwas Musik (auch nur noch wenig) und schweige. Ich genieße das Schweigen. Wenn es ginge, würde ich es sogar auf der Arbeit tun. Je lauter es um mich herum ist, umso mehr. Und mir geht es nicht schlecht dabei, unter all der oberflächlichen Unruhe wohnt in mir derzeit eine warme Zufriedenheit. Für ein Blog ist schweigen natürlich doof. Aber im Moment geht es nicht anders. Wenn man so will, vielleicht eine Art von persönlichem Advent, eine Zeit des Leiseseins.

Zumindest das musste ich mal loswerden. Für die treuen Leser, die hier trotz Flaute regelmäßig vorbeischauen und denen ich eigentlich gerne täglich etwas Frisches servieren würde.

Ich glaube, so schreibt man unfit.
Wie es ins Zimmer fließt, ruhig, satt und klar. Ein paar Staubteilchen flirren in der Luft. Leicht wiegende Schatten der Zweige mit ihren letzten Blättern am Boden und an der Wand. Die überraschende Wärme der Strahlen, wo die Luft draußen so frisch ist. Die schläfrige Nachmittagsstille. Kein Foto kann diesen Moment und die Qualität des Lichts so transportieren wie Musik; Arpeggien von Gitarren, Fender Rhodes Pianos und ähnlichen, glockig-harfigen Sounds, mit vielen Septimen und Nonen, so wie z. B. in den Carpet Crawlers (und vielen anderen Stücken) der frühen Genesis, wie auf dem Album Vespertine von Björk, oder eben Weird Fishes / Arpeggi [Youtube] auf dem neuen Radiohead-Album, das ich höre, während ich träge auf der Couch sitze und für eine Weile vergesse, mich rastlos zu fühlen.
Was für ein Großkampftag, der heute zuende geht. Großkampfwochen, eigentlich. Und trotz Dauerüberdrehtheit, Schlafstörungen und hartem Nacken geht es mir gut. Was ist passiert? Ich denke ja ganz gerne von mir, unstrukturiert zu sein, undiszipliniert, vergesslich, vor allem nicht sehr zielgerichtet. Doch dann traf ich auf den Kollegen und inzwischen neuen Teamleiter, den ich erst unterstützen, dann vertreten durfte. Dessen Projekt dasjenige war, welches von allen Abteilungen am weitesten im roten Bereich lief, hoffnungslos hinterher. Nicht, dass ich das in der kurzen Zeit hätte aufholen können. Aber mit den erfreuten Reaktionen der anderen auf meinen Arbeitsstil, dem sichtbaren Erfolg und meinem direkten Vergleich zu diesem (in der Organisation durchaus angesehenen) Kollegen bin ich unmerklich gewachsen. Unfähig und nutzlos kam ich mir vor ein paar Monaten noch vor. Jetzt weiß ich mit einem Mal, was ich kann.

Und was habe ich in den letzten Wochen geflucht, als nach und nach herauskam, was der Kollege bislang alles versäumt hatte. Jetzt bin ich ihm auf merkwürdige Weise dankbar. Heimlich, natürlich. Und freue mich mit der Möwe auf zwei ganz besonders verdiente Wochen Bretagne. Bis bald.
Jetzt weiß ich: Ich hätte einfach täglich fahren müssen, nicht nur ein, zwei Mal in der Woche. Dann hätte sich das Wohlgefühl vielleicht schon deutlich eher eingestellt: endlich kein Schwindel mehr, wenn ich vom Rad steige, nicht mehr von Opis auf Klapprädern überholt werden, wenn es die lange Steigung hoch geht, körperlich ausgeruht und entspannt durch den Arbeitstag laufen.

Und das, wo ich in der letzten Zeit meist erst um zwei Uhr einschlafe und schon um sieben aufwache. Überhaupt scheinen die Hormone seit einigen Wochen etwas durcheinander; ich bin reichlich aufgedreht, so als ob das bisschen Mehr an Bewegung mich eher aufputschen würde, anstatt mich müder zu machen. (Etwas befremdlich nur, dass meine Fingernägel derzeit wie verrückt wachsen.)

Zudem bin ich mit meinen festen Aufgaben seit heute fertig, darf jetzt zunächst Kollegen aushelfen, bei denen es brennt (was dennoch kaum in Stress ausarten wird), habe letzte Woche ein ausgesprochen erfreuliches Gespräch mit dem möglichen nächsten Chef geführt und weiß, dass er — auch wenn's gerade noch keine konkrete Stelle gibt — mich haben will.

Doch, so gefällt es mir. Vor allem, wenn ich mit Frösteln ein halbes Jahr zurück lese. Und Sommer ist es auch.
Da gibt es diesen Kollegen in einer ganz anderen Abteilung, dessen Job ich unbedingt haben will. Genau die Aufgabe, die mich reizt und die eine logische und moderate Weiterentwicklung wäre. Ich weiß auch, ich wäre eine gute Besetzung. Die wenigen Lücken, die ich noch zum Stellenprofil habe, gehören zu dem, was ich seit langem gerne hinzulernen würde. (Überhaupt: Lernen! Ich habe das Gefühl, mein Hirn trocknet aus, wenn sich nicht bald etwas tut.) Was gut ist: Ich weiß jetzt, dass der Kollege selbst aktiv nach einer neuen Stelle sucht. Einen Informanten in seiner Nähe habe ich schon, der mir umgehend Bescheid gibt, wenn sich etwas bewegt. So könnte ich meine Bewerbung just in dem Moment platzieren, wenn seinem Chef dämmert, dass er einen Neuen braucht.

Wenn mich die derzeitige Arbeit nur nicht so anödete. Noch habe ich die Stelle nicht und, wer weiß, am Ende dauert es ein Jahr, bis sie überhaupt frei wird. Wie lange warten? Oder doch schon mal im Voraus bewerben, den Überraschungsbonus verlieren und womöglich riskieren, dass meine jetzige Abteilung davon Wind bekommt? Ich bin wirklich heiß auf die Stelle. Etwas Geduld, das wär's jetzt.
Über ein halbes Jahr haben wir die Responsorien von Gesualdo intensiv geprobt, wohl das Herausforderndste, was ich bislang gesungen habe. Sechs Stimmen, die den lateinischen Text aus der Passionsgeschichte eigenständig und stets gegeneinander verschoben singen, expressiv komponiert und in (Dis-)Harmonien, denen man ihre 400 Jahre nicht anhört. Jetzt war die Zeit, unseren leicht nach Studenten müffelnden und akustisch matten Seminarraum zu verlassen, in dem wir uns wöchentlich treffen, und das Ergebnis aufzuführen. Gestern abend der zweite Auftritt, diesmal in Dormitz in der Nähe von Erlangen. Im Anschluss an den Gottesdienst, den wir mit einem Credo und Sanctus aus einer Messe von Taverner begleiteten, sangen wir die Responsorien zum Gründonnerstag, zwischendurch drei Mal unterbrochen von passenden Texten aus Psalmen und Klageliedern.

Dormitzer Kirche
Und wie wir sechs im Raum hinter dem Altar standen und sangen, trug uns die Akustik des Chorgewölbes davon, die die eigene Stimme und die der anderen wunderbar voll und sauber wiedergab und den gebündelten Klang genauso in den Kirchenraum transportierte, wie man uns nachher sagte. Zeit und Zuhörer vergessend sangen wir wie für uns selbst, konzentriert und hellwach, die reihum gehenden Erkältungen und alle Müdigkeit der letzten Wochen verflogen. Ich weiß nicht, wie ich meinen Zustand währenddessen und danach beschreiben soll, aber das Wort Erfüllung käme darin vor.
Am 5. April (Gründonnerstag) führen wir nochmal auf,
evangelische Kirche in Weisendorf um 19:30 Uhr.
Während ich den Stapel E-Mails mit technischen Fragen beantworte, blicke ich zwischendurch auf die nassen Straßen vor dem Bürofenster, die dunkelsilber bis gleißend hell in der Sonne leuchten, und zu Stahlseitengitarre und Cello von den Mountain Goats in meinem Ohr ziehen Radfahrer, Autos und Menschen mit Regenschirmen als schwarze Silhouetten vorbei, geschäftig und mit im Frühlingswind wehenden Haaren, ich vergesse Husten und dicken Kopf und alles ist leicht, wunderbar leicht.
Merkwürdig und schön. Heute morgen aufgewacht und die Welt fühlte sich für ein paar Stunden an wie mit Anfang 20.
Okay, ich bin seit ein paar Tagen wieder angeschlagen und hustete heute nacht heftig Reiz. Aber dass mich der Arzt heute nach einem Blick in meinen Hals wortlos gleich bis Ende der Woche aus dem Verkehr ziehen würde, hätte ich nicht gedacht. Pumpenhausitis Seitenstrangangina. Na denn werde ich mich in den nächsten Tagen wohl mit Decke und Laptop auf der Couch breitmachen müssen und bei einem Tee oder Cappuccino zusehen, wie draußen die Schneeflocken im Wind tanzen. Ich bin nicht wirklich böse darum.