Gruppen von Krähen, wie sie sich vor dem windzerfetzten, abendroten Himmel rund um die Bürogebäude jagen. Ich wäre gerne eine von ihnen.
Aber vielleicht ist schon der Gedanke falsch, man könne ein bestimmtes, ureigenes Problem nur dadurch lösen, endlich so zu werden, wie man meint, sein zu müssen. Erst recht, wenn einen das Problem ein Leben lang wieder und wieder einholt. Vielleicht liegt das Problem ja auch darin, dass man es überhaupt zu einem macht. Ein Bild von sich zu haben als jemandem, der man nie war oder sein kann.

Vielleicht wird man sogar nicht einmal mehr dieses Selbstbild ändern können, das Problem also immer mit sich herumtragen. Und dann? Was wäre zum Beispiel so schlimm daran, alle drei, vier Jahre eine neue Aufgabe zu suchen, weil man an der alten die Lust verloren hat? Wenn man doch zumindest für die nächsten zwei Jahre wieder erfüllt und zufrieden sein könnte? Warum erfährt derjenige mehr Widerspruch, der Spaß an der Arbeit einfordert als der, der trotzdem seine Arbeit tut, und schlimmer: warum glaubt man sogar selbst heimlich daran?

Es muss sich etwas tun. Aber vielleicht anders, leichter, als ich immer dachte.

(Danke an den Zeitnehmer für den Anstoß.)
Warten, dass die schiere Gewalt der Luftmassen uns mitreißen und in die obere Atmosphäre wirbeln möge. Wo man nurmehr ganze Städte, Straßennetze und Landschaften sieht anstatt der Ritzen zwischen den Pflastersteinen, an denen unser Blick normalerweise klebt. Warten darauf, tausende Kilometer entfernt durchwalkt und mit freigepustetem Hirn an einem freundlichen Ort abgeworfen zu werden, zusammen mit denen, die wir gerne um uns haben. Wo wir nicht länger grübeln müssen, was wir sind und wollen. Und wissen insgeheim, dass dieser pathetische Wunsch nach dem Großen und Umwerfenden immer wieder nur die Banalität verstärken wird, in der alles zu zerbröseln scheint, was wir anfassen.

So ein Ding brauche ich auch.
Das Universum besteht zu 99,8% aus Kram. Undefinierbarem, nicht mehr zu kategorisierendem Kram. Dem, was z. B. bei einem Umzug noch in der alten Wohnung herumsteht, weil es in keinen Karton, kein Zimmer, keinen Zweck mehr passte, aber dennoch da ist und jetzt um so grimmiger sein Dasein verteidigt. Die direkt aus den Gesetzen der Natur folgende Vermehrung von Kram ist nur durch regelmäßiges, beherztes Aussortieren und gelegentliche Hilfe kommunaler Entsorgungsdienste leidlich einzudämmen. Ganz beseitigen können wir ihn nicht - immer noch wird es irgendwo ein-zwei Schubladen geben, wo er sein Dasein fristet, von denen aus er sich irgendwann wieder ausbreiten wird. Nur tragische Gestalten glauben an die verborgene Existenz eines ausgefuchsten Ordnungssystems, mit sich Kram eines Tages eliminieren lasse. Machen Sie es besser: Werden Sie wieder Kind. Lernen Sie, mit Kram zu leben.
Wenn Ihnen etwas an der Aufgabenverteilung in Ihrer Beziehung nicht schmeckt, liegt das im Wesentlichen an genau zwei Personen. Das Verhalten von einer der beiden können Sie ohne Umschweife ändern.

Die Begriffe Frauen und Männer mögen in statistisch relevanten Maßstäben hilfreich sein. Aber das Problem mit dem unverschämten Kollegen werden Sie auf dieser Ebene nicht lösen, ebensowenig wie Schwierigkeiten, einen Partner zu finden.

»Ich glaube nicht, dass die Seele an sich, das, was davon übrig bleibt, wenn man das ganze Gedöns abpflückt, in weiblich oder männlich geteilt werden muss.« [Fr. Evasive]

Das heißt nicht, dass es keine systematischen, strukturellen Probleme von Ungleichheit gäbe, die sich anzugehen lohnten.

Fragen Sie sich ab und zu, ob eine bestimmte Aussage über einen Menschen gleichermaßen für jemanden anderen Geschlechts vorstellbar wäre. Oder achten Sie mal darauf, ob Aufmerksamkeit und Verhaltensbewertung in Ihrem Umfeld zwischen den Geschlechtern gleich verteilt sind. (Sind sie nicht. Auch nicht bei Ihnen selbst.) Nicht immer muss das schlimm sein. Aber es ist mindestens gut, sich dessen bewusst zu sein.

Wenn Sie ein Problem damit haben, sich als Frau oder Mann zu sehen, hat es Ihre Umgebung auch. Versuchen Sie, sich mit Ihren biologischen Tatsachen zu versöhnen. Darüber hinaus gibt es keine positive Eigenschaft, die nicht gleichermaßen Männer männlicher und Frauen weiblicher macht, auch wenn Klischees etwas anderes behaupten mögen. Wenn Sie sich häufig von Frauen und Männern abgrenzen, haben Sie wahrscheinlich noch ein Problem mit Ihrem Selbstverständnis.[*]

Seine Arbeit ernst zu nehmen, Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen: Das sollte weder der einzige Lebensinhalt sein, noch sollten Sie es gering schätzen.

Für ein angenehmes, stabiles Umfeld zu sorgen, Freundschaften zu pflegen, Kinder zu erziehen: dito.

Wer die Leistung des anderen nicht anerkennt oder überhaupt wahrnimmt, sollte sich über sinnlosen Trotz nicht wundern.

Hören Sie auf, ihren eigenen Lebensentwurf dadurch stützen zu wollen, dass Sie andere Entwürfe abwerten. Doch, tun Sie. Tut jeder. Ich auch.

Wenn Sie am Ende die Arbeit alleine erledigen, die Sie nicht alleine erledigen wollten, »weil es ja sonst niemand tut«: Machen Sie nicht ausschließlich den Anderen dafür verantwortlich. Es lohnt sich daneben auch, zu ergründen, warum Sie selbst diese Rolle einnehmen und ob Sie nicht Bestätigung daraus ziehen, der/diejenige zu sein, ohne den/die »alles zusammenbräche«.

Wer nur sich selbst zutraut, bestimmte Aufgaben richtig und gut zu erledigen, sollte sich nicht über fehlende Unterstützung beklagen.


[*] Mir ist dabei bewusst, dass es mehr gibt als nur Mann oder Frau, und dass in Fällen biologischer oder psychologischer Mehrdeutigkeit der Druck von außen, sich in eine Rolle zu fügen, zu stark sein kann, um sich aus eigener Kraft dagegen stemmen zu können.
In meinen ersten Lebensjahren wohnten wir neben einer katholischen Kirche. In der Kirche nahezu, denn das Haus war direkt mit ihr verbunden. Als wir später umzogen in das Haus meines Onkels, der sich im Sommer zuvor das Leben genommen hatte, war ich ein, zwei Monate bei meinen Großeltern untergebracht, die nur wenige Meter davon entfernt wohnten, und eine der wenigen Erinnerungen an diese Zeit war das einfache Läuten der nahen evangelischen Kirche, wie es abends ins Fenster wehte. Ein einsames, etwas trauriges Läuten, das mich auch die ganzen folgenden Jahre begleitet hat, in denen ich aufwuchs.

Seit ich dann nach Erlangen kam, wohnte ich - ebenso wie zwischendurch im nahe gelegenen Landkreis - nahezu immer in Sichtweite einer Kirche. Besonders eindrucksvoll war der Kirchturm der evangelischen Peter-und-Paul-Kirche in Bruck, unter dem ich mal eine Weile wohnte, um den oft ganze Krähenschwärme mit ihrem wunderbaren karrrr, karrrr, iukk kreisten. Eine Kirche mit Kirchturmuhr bedeutet hier zudem, neben dem liturgischen Läuten morgens, mittags, abends und zu den Gottesdiensten auch den Viertelstundenschlag plus Schlag zur vollen Stunde zu hören. An manchen Uhren sogar doppelt, also zum Beispiel mittags vier mal Viertelstunde, dann zwölf auf der einen Glocke und nochmal zwölf auf einer anderen. Ich habe das irgendwann mal ausgerechnet, in 24 Stunden machte das 552 Glockenschläge alleine für die Uhr. Gestört hat es mich nie.

Ich weiß nicht, ob es daran liegt. Daran, dass ich ein Leben lang in der Nähe von Kirchen gelebt habe, aber ich liebe Glockenläuten. Das einsilbige schon (sofern es keine Totenglocke ist), das vielstimmige noch mehr: wenn drei oder sogar vier Glocken z. B. im Abstand a-c-d-e oder h-d-e-g ineinanderklingen, ganze Cluster von Obertönen ab- und anschwellen, immer mit kleinen Terzen zu den Grundtönen, eine minutenlang oszillierende Klangwolke in Moll, die mich jedesmal aus meinem kleinkarierten Alltag reißt, buchstäblich stehenbleiben lässt, mich innerlich plötzlich ganz weit macht. Mir ein Gefühl von Zuhause gibt und jedes Bedürfnis, zu reden, nimmt. Und ganz besonders das Läuten in der Abenddämmerung, während der Tag rundherum leise wird und seine Geschäftigkeit verliert.

Zur Zeit höre ich sie nur, wenn der Wind aus einer bestimmten Richtung weht. Aus unserer neuen Wohnung werde ich dagegen wieder direkt auf eine Kirche blicken. Ich freu mich drauf.
Verachtung und Häme: Immer noch die verlässlichsten Anzeichen, zu wem man auf Distanz bleiben sollte.
Der Himmel klar und ruhig, wie eine luftige, weiche Decke über der immer noch warmen Stadt. In den Bäumen kein Windhauch. Über dem Wohnblock gegenüber blinzelt, heller als jeder Stern, Jupiter. Lastwagen singen auf der Autobahn, an- und abschwellend, kilometerweit. Da! Hast du gesehen? Ja. Eine Sternschnuppe wie ein hastiger Strich mit dem Leuchtstift. Wie ein Echo, eine Zeitlupe, schiebt sich lautlos ein Satellit über den Zenit, die Sonnensegel erst im vollem Licht, dann nach und nach dunkler werdend, bis er im Abseits verglüht. Ein gerade gestartetes Passagierflugzeug zieht mit kilometerweitem Scheinwerferkegel über die Siedlung hinweg, gen Norden Richtung Sonne. Vielleicht sieht es in ein paar Stunden Grönland im Dämmerlicht? Wieder Stille. Alles so groß und so klein, alles bewegt sich und ich bin gerne hier, die Möwe neben mir, nackt auf dem kleinen Balkon mit Blick aufs Universum.
Jeder Mensch braucht einen, der ihn nicht immer ernst nimmt.