Warum sind die Küchen aus unseren Wohnungen verschwunden? Warum haben Küchen spätestens seit den 70er Jahren kleine Schläuche zu sein, mit Platz für höchstens zwei Personen gleichzeitig, ohne Sitzgelegenheit, mit noch nicht einmal ausreichend Stauraum für das gesamte Geschirr? Was sind das für Architekten, die in einer großzügigen 4-Zimmer-Wohnung mit über 100 Quadratmetern eine Küche von gerade mal 7 (!) Quadratmetern vorsehen? Lieferpizza und Mikrowelle gibt es noch nicht so lange, dass man denken könnte, die hätten vielleicht die Zubereitung von Essen nur noch vom Hörensagen gekannt. Welche Einstellung zum gemeinsamen Essen (und seiner Vorbereitung) steckt also dahinter? Ich verstehe es nicht. Aber wie der selige Hanns-Dieter Hüsch sagte,
der Niederrheiner weiß nix, kann aber alles erklären, bastle ich mir zumindest den Anfang zurecht. Später müsst ihr mir dann helfen, da fehlen mir nämlich die Argumente.
Also: Die Küche war früher nicht nur des Essens wegen der Hauptwohnraum; in Zeiten vor Einführung von Zentralheizung und Elektro- oder Gasherd stellte der zum Kochen benötigte Herd oft die einzige Heizung in der Wohnung dar, und es war ganz natürlich, dass die ehemals deutlich umfangreichere Hausarbeit und damit der größte Teil des Familienlebens in der Küche stattfanden. Da vieles auf Vorrat gebacken oder eingemacht wurde, war dazu auch Platz zum Arbeiten vonnöten - nicht zuletzt für die Kinder, die dabei mithelfen mussten. Ich glaube, auf die Idee, sein Essen in einem anderen Raum einzunehmen, wäre damals ganz bestimmt niemand gekommen. Die
gute Stube war hingegen zur Repräsentation gedacht, musste immer schön und aufgeräumt bleiben und wurde nur bei Besuch oder am Sonntagnachmittag betreten; Kartoffeleintopf oder Brot hatten dort nichts zu suchen. Später im 20. Jahrhundert wurden mehr und mehr Wohnräume beheizt und das Familienleben verlagerte sich zumindest abends aus der Küche weg hin ins Wohnzimmer, wo jetzt das Radio und später ein Fernseher standen. In der Küche wurde immer noch gegessen oder Hausarbeiten erledigt (auch die Hausaufgaben der Kinder, die keinen eigenen Schreibtisch besaßen so wie heute); im Wohnzimmer wurde der
Feierabend genossen. Vielleicht brachte Mutti abends auch noch einen Teller Schnittchen rüber.
Aber was passierte dann? Wieso wurde das Esszimmer irgendwann in den 60ern/70ern abgetrennt, um es schließlich dem Wohnzimmer zuzuschlagen - halbherzig oft nur, mit offenen Durchgängen oder irgendwelchen Durchreichen? Warum wurde die Küche so klein, dass höchstens noch Mami darin Platz fand (am Sonntag Papi mit seinem Rinderbraten), die bei weiteren Personen auf diesem engen Raum vermutlich zu recht wahnsinnig wurden und alle rausscheuchten?
Dabei kenne ich bislang doch niemanden, der als Kind nicht gerne bei Eltern oder Großeltern in der Küche auf der Bank saß und beim Kochen zuschaute oder mithalf. Gibt es etwas Schöneres und Gemeinschaft Stiftenderes, als zusammen in der Küche zu sein, einer am Tisch Gemüse schnippelnd, der andere an der Arbeitsfläche Fleisch malträtierend, sich dabei zu unterhalten, zwischendurch gemeinsam abzuschmecken (»Hier, probier mal!« - »Mmmh... Salz noch!«)? Nicht nur für Kinder. Und es ist allgemein bekannt, dass die Küche auch heute noch der beliebteste Raum jeder größeren Party ist, vorausgesetzt, es haben mehr als zwei Menschen darin Platz.
Insofern, liebe Architekten: Es braucht nicht einmal diese Kochinseln mit protziger Edelstahl-Esse, wie man sie gerne in Küchenkatalogen sieht (und
nur dort), oder irgendwelche loftartigen Riesen-Wohn-Koch-Ess-Schlaf-Arbeitsräume. 15 qm Küche, einigermaßen quadratisch, wären ja schon genug, das gäbe ausreichend Platz für Ober- und Unterschränke und vor allem für einen normalen Esstisch für vier Personen, ausziehbar auf sechs. Dafür dürft ihr das Wohnzimmer gerne ein bisschen kleiner machen, denn da wollen wir gar nicht essen, sondern uns viel lieber satt auf der Couch fläzen mit einem Buch, bei Musik oder mit einem guten Film auf DVD.
Doch bei Rotwein bis weit in die Nacht diskutiert wird immer noch in der Küche.