Gerade noch rechtzeitig.
[Kommentare mach ich mal aus, sonst wünschen Sie wieder so lieb gute Besserung und machen mich verlegen. Wo mein Kopf sowieso schon leuchtet.]
Wie erklären sich eigentlich diejenigen, die sonst jedem Furz einen Evolutionsvorteil zuschreiben, dass Menschen — kaum, dass ein paar von Ihnen zusammenkommen — freiwillig sinnfreien Beschäftigungen folgen, die ihrem Fortbestand im Zweifelsfall eher hinderlich sind? Zum Beispiel der, mit seinen Familien menschliche Türme zu bauen, 8, 9 oder gar 10 Stockwerke hoch, immer unter der Maxime je jünger, desto oben. (Klick für ein Youtube-Filmchen.)

Ein ausgezeichneter Dokumentarfilm über diese Tradition ist Castells, ohne gesprochenen Kommentar, mit Bildern wie Fotografien und ungeschöntem Einblick in die Eifersüchteleien innerhalb einer Turmgemeinschaft. War vor einer Woche im Bayerischen Rundfunk zu sehen; weitere Sendetermine konnte ich bislang noch nicht finden. Sollten Sie mal auf den Film stoßen, sehen Sie ihn sich an.

»Fundgrube für tolle, ungewöhnliche Geschenkideen«

(mehr in den Kommentaren)
In jeder Sekunde sträubt sich alles in mir. Nur noch ein Gedanke: weg, raus in die Sonne, nach Hause, hinlegen. Letzte Nacht nur drei Stunden geschlafen. Ich habe den Stress nicht mehr unter Kontrolle. Das Gefühl, die Aufgaben nicht bewältigen zu können, das mich normalerweise nur in kontrollierten Kleinstfluchten z. B. in die Blogwelt treibt, hat in den letzten Tagen Besitz von mir ergriffen, lähmt mich und wird so zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Für zuviele Dinge gleichzeitig verantwortlich, organisatorisch und inhaltlich, ich kann mich nicht mehr konzentrieren und nach einer Minute ist Gelesenes oder Gehörtes schon vergessen. Einen meiner Fertigstellungstermine habe ich eben gottseidank schon selbstherrlich von heute auf Montag verschieben können, soll die Augenbrauen hochziehen wer will. Andere muss ich dagegen durchziehen, wie z. B. gleich die mehrstündige Veranstaltung, bei der eine andere Arbeit, die ich letzte Woche beendet habe, auseinandergenommen wird. Danach raus hier. Hoffnung auf morgen und Sehnsucht auf die Zeit nach dem 20. Dezember, wenn erst Ruhe einkehren wird, in der ich auch wieder darüber nachdenken kann, was bei mir gerade grundsätzlich schief läuft.


Beerenmond
Urlaubsfantasien. Zwei Wochen Bretagne mit Wind und Nieselregen. Eine Woche Taizé, schweigend. Oder Irland. Egal.
Ein Jahr rauchfrei. Und keinen Moment mehr Lust darauf bekommen, immer noch. Fast schäme ich mich ein bisschen.
Der Kollege mit Tourette-Syndrom. Keine Reizwörter, nur leichte Ticks mit Mimik und Kopfbewegungen, Schnauben, hier und da einzeln hervorgestoßene Silben im ansonsten normalen Fluss der Sätze. Und dann der andere, der regelmäßig leicht stottert. Innerlich grinsen müssen, wie wir neulich zusammen in einer Besprechung saßen. Diese Geräusche. Große Experten mit kleinen Handicaps. Ich mag sie. Und auch diese Firma, trotz allem, in der Stottern oder Tourette weder am internen Ansehen kratzen noch daran hindern, in internationalen Gremien oder mit Kunden zu arbeiten.

Krank sein wäre eigentlich auch schön. So vier-fünf Tage zuhause, dumpf im Kopf mit Decke auf der Couch, Blogs lesen oder dämliche Gerichts-Soaps gucken bis mir die Augen zufallen, von meiner Möwe wachgeküsst werden, wenn sie nach Hause kommt, uns einen Cappuccino machen, Kartoffeln mit Möhren durcheinander essen, in den Nebel draußen starren, sowas halt. Auf der Arbeit hustet alles herum, zu wenig Schlaf hab ich derzeit auch, sieht eigentlich gut aus. Aber wie ich mich kenne, halte ich den Stress noch bis zur Abgabe meiner Dokumente Mitte Dezember durch und werde dafür zwischen Weihnachten und Dreikönig krank.
Man muss diesen Geschenke-Irrsinn ja nicht mitmachen. Man kann sein Weihnachtsgeld auch mal spontan in Auspufftöpfe, Inspektion, Ölwechsel, Instrumententafel-Ein- und Ausbauten, Motorsteuerungs-Softwareupdates und andere tolle Dinge investieren, so wie ich.
Ja doch, ich bin froh, überhaupt noch Weihnachtsgeld zu bekommen.
Vielleicht doch lieber Urlaub.

(Johannisfriedhof, Nürnberg)
Ingwer gehört ja zu den Gewürzen, die einem gerne unangenehm kommen. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, wie man diese Ingwerstäbchen in Schokolade oder ähnliche Scheußlichkeiten überhaupt mögen kann. Ich verspreche Ihnen aber, mit dem Rezept, was meine Möwe heute erfunden hat, werden Sie zum Ingwer-Fan. Garantiert.

okay, optisch eher unspektakulär
Für 4 Portionen mischen Sie 100 ml Kokosmilch (gibt's in Dosen), 100 ml Sahne und reiben eine ganze Ingwerknolle hinein (vielleicht so 30g). Der Klecks Thai-Curry hat nicht geschadet. In dieser Marinade lassen Sie 400g Hühnerbrustfilet in mundgerechte Stücke geschnitten drei bis vier Stunden ziehen. Dann hacken Sie eine Zwiebel und eine Knoblauchzehe fein, dünsten sie in Olivenöl an, hobeln 2 Möhren hinein, lassen sie zart schmoren und geben dann das Fleisch mitsamt Marinade hinzu und lassen alles leise köcheln. Dazu Basmatireis, fertig. Ich könnte mich reinlegen.

Torso (Bretagne 2004)
Die personenrechtliche Beziehung zwischen Eltern und Kind spricht nicht dagegen, in derartigen Fällen die Belastung mit einer Unterhaltsverpflichtung als Vermögensschaden anzusehen. Im Bereich der Arzthaftung gilt wie in jedem anderen Bereich der Vertragshaftung, dass der durch eine schuldhafte Vertragsverletzung verursachte Schaden zu ersetzen ist.
[Der BGH zu einer heutigen Entscheidung (VI ZR 48/06), nach der ein Gynäkologe nach missglückter Verhütungsbehandlung vollen Kindesunterhalt bis zur Volljährigkeit zu zahlen hat]
Natürlich müssen Ärzte für ihre Fehler haften. Aber in dieser Form, wo ein Kind auf immer daran erinnert wird, nie gewollt gewesen zu sein?
Aber bled is scho. Sie kennen das ja, man steht irgendwo, guckt, und plötzlich denkt man: Was, wenn jetzt da oben was runterfällt. Oder man hockt zuhause, kann jemanden nicht erreichen und denkt: Was, wenn dem was unterwegs passiert ist. Eine der wenigen in dieser Hinsicht tröstlichen Einsichten, die sich über die Lebensjahre einstellen, ist ja, dass die Dinge, die man befürchtet, gemeinhin nie auf diese Weise eintreten. Dachte ich. So auch letztens, als ich in der Schlange der Autobahnauffahrt Erlangen-Mitte stand, wo es wegen einer Baustelle zwei Monate lang keine Beschleunigungsspur gab, sondern nur ein Stopschild.

Um in die Autobahn einzufahren, muss man schräg über die linke Schulter schauen. Im Laufe der Wochen hatte ich mindestens fünf-sechs Mal Fahrzeugpaare am Rand im Bankett stehen sehen, wo der Hintermann zwar auf diese Weise den Verkehr auf der Autobahn abgepasst, sich aber vorm Tritt aufs Gaspedal leider nicht vergewissert hatte, dass sein Vordermann auch schon losgefahren war.

So stand ich in der Schlange, gerade fuhren tatsächlich schon wieder zwei Autos vom Gras neben der Auffahrt los, die wohl das gleiche Schicksal getroffen hatte. »Mann, das könnte mir auch passieren«, dachte ich, während ich in den Rückspiegel schaute und kritisch den jungen Herrn im goldfarbenen Golf hinter mir beäugte, der schon seit dem Verlassen des Firmenparkhauses hinter mir fuhr. »Ach was, blue sky, das kann nicht. Erstens sind da gerade erst zwei zusammengekracht, und zweitens denkst du darüber nach, also kann es gar nicht eintreten.«

Jetzt stand ich vorne. Der Mann hinter mir schaute links über seine Schulter, schließlich ergab sich eine Lücke und noch bevor ich selbst Gas geben konnte, knallte er hinten rein. Nicht schlimm, nur mal wieder das Blech eingedrückt und verschiedene Teile verzogen (2000 Euro Schaden). Zahlt die gegnerische Versicherung, Wagen ist gerade in der Werkstatt, das ist alles ärgerlich, aber nicht das eigentliche Problem.

Dass ab sofort alles, was sich mein Hirn an Unglücken ausdenkt, trotzdem eintreten kann, das ist ein Problem.
Die Genugtuung mag billig sein. Doch es ist nicht das Schlechteste, wenn man die »Zeit« aufschlägt und einem eine ganze Serie von Artikeln entgegenfällt, die derart klar eine schon lange gehegte Einstellung bestätigt. Nur ein paar Zeilen daraus:
Hier ruht ein Wohlstandsbürger, gestorben an falschem Essen - wer will schon diese Inschrift auf seinem Grabstein haben? Und doch prasst und völlt sich jeder Dritte von uns verfrüht unter die Erde, behaupten Epidemiologen. Bei zu viel Fett auf dem Teller, zu viel Zucker im Becher drohen Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs. Die düsteren Botschaften kommen an: Bang überdenken wir unseren Speiseplan. Nur wie überdenken? Die Flut von Tipps ist überwältigend - und voller Widersprüche.
[...]
Häufiger einen Salat oder Apfel, Hände weg vom Salzstreuer, lieber Fisch statt Fritten und vielleicht mal ein Glas Milch - das ist vorläufig alles, was vom Getöse bleibt.
[...]
Nur ausgenüchterte Ernährungsforschung hätte Chancen, vielleicht doch noch ein klares Wirkgefüge zwischen Nahrung und Krankheitsrisiko zu erkennen. Die ratlose Zwischenzeit dürfen auch die strengsten Gesundesser zum Genießen nutzen - und jeder Schlagzeile, die ihnen mit Zahlen und Vorschriften ins Essen pfuschen will, getrost mit Skepsis begegnen. [Birgit Herden, Einfach Essen, Zeit Nr. 46/06, leider nicht online]
Genau das werde ich weiterhin tun.
Mir ist schleierhaft, was selbst respektable Bands immer noch dazu bringt, im letzten Stück einer CD nach ein paar Minuten Stille nochmal nachzulegen. Soll das irgendwie bedeutungsvoll sein? Oder lustig? Das war es noch nie, und auch der Überraschungseffekt hat sich nach dem ersten Hören erschöpft. Es erinnert an 80er-Jahre-Thriller, in denen Bösewichte, Minuten nachdem sie erstochen, erschossen und 50 Meter tief durch Treppenhäuser und Glasdächer gefallen waren, immer nochmal mit der Waffe in der Hand aufstehen mussten. Albern. Und ärgerlich, weil man dieses Stück Musik für den Rest seines CD-Lebens nie sauber ansteuern kann.
Heute musste ich raus, trotz unangenehmem Novemberwetter. Vor ein paar Tagen merkte ich, dass ich in den ganzen letzten Wochen durch den Umzug und die vielen zu erledigenden Dinge nie spazieren war und wie sehr mir der Geruch von frischem Laub fehlt. Am späten, trüben Nachmittag stiefelte ich los in Richtung Weiher und Wald. Mir fiel auf, dass die einzigen unter 70, die ganz normal spazieren gingen, Kinderwagen schiebende Eltern waren. Ansonsten scheint man sich sonntagnachmittags draußen nurmehr zum Joggen oder Herumeiern aufzuhalten, mit oder ohne klappernde Stöcke. Als ich an den Weihern ankam, dämmerte es schon und es blies ein heftiger Wind, der sich laut im meterhohen Schilf verfing. Ich lief weiter in den Wald, und zwischen all den Nadelbäumen fiel mir wieder auf, wie sehr ich hier den echten Laubwald vermisse, so wie es ihn an der Stadtgrenze zu Mülheim gab, wo ich aufgewachsen bin. Dort fuhr ich als Kind und Jugendlicher viel mit dem Fahrrad herum, meist alleine; ich liebte es, die Wege zu verlassen und vor allem im Herbst, mit den Füßen durch das hohe Laub zu stiefeln. Dieser Wald mit seinem ununterbrochenen Rauschen der nahen Autobahn war die richtige Kulisse für meine Einsamkeit, denn einsam und traurig fühlte ich mich oft, und dort konnte ich das Gefühl zelebrieren. Einmal, als es besonders heftig war, zog ich mich sogar aus, mitten im Wald. So stand ich da, ein kleiner Junge, nackt zwischen den Bäumen. Hätte mich nicht ein alter Mann entdeckt, der mir eine kräftige Ohrfeige gab, vielleicht wäre es zur Gewohnheit geworden.

In diesem Alter, so ungefähr mit sieben oder acht, legte ich mir auch einen ganz bestimmten Traum zurecht, in den ich mich meist abends vor dem Einschlafen einrollte. Ich liege in einem dunklen Waldstück, weitab vom Weg, und kann mich nicht vom Fleck rühren. Mein Bein ist gebrochen, ich rufe lange um Hilfe. Irgendwann läuft zufällig sie in der Nähe vorbei, wird auf mich aufmerksam und findet mich. Sie hebt mich hoch, ich halte mich an ihren Schultern fest, und sie trägt mich aus dem Wald, ruft einen Krankenwagen und begleitet mich zum Krankenhaus. Natürlich nicht, ohne mir in die Augen zu sehen und sich in mich zu verlieben. In der zweiten Variante des Traums tauschten wir die Rollen; diesmal war sie verletzt und ich derjenige, der sie finden würde.

Ich habe diesen Traum geliebt. Die Besetzung der weiblichen Rolle darin war, im Nachhinein gesehen, offenbar nebensächlich, meist war es ein Mädchen aus meiner jeweiligen Klasse, das mir gefiel und an das ich meine Sehnsucht knüpfen konnte. Die schöne Traurigkeit und mein Selbstmitleid waren stark und ich konnte sie auch als Jugendlicher noch stundenlang konservieren, wenn ich zuhause im dunklen Zimmer auf meinem Schrank saß, nach draußen auf die im Laternenlicht nass glitzernde Straße sah und passende Musik hörte, wobei ich ab und zu hinunter steigen musste, um den Tonarm vom Plattenspieler wieder an den Anfang zu setzen.

Heute sind von diesem Gefühl nur noch Schemen geblieben. So schwach, dass es nach ein oder zwei abschweifenden Gedanken wieder entgleitet. Die Zeit ist vorbei; ich weiß, dass ich niemanden mehr retten muss, um in meinem Wesen erkannt zu werden, und auch mich muss niemand mehr aus meiner Einsamkeit tragen. Meine Ehe war vielleicht der letzte Versuch dieses Lebensgefühls, sich durchzusetzen. Nur manchmal noch, selten, ruft es mich jetzt von weitem, besonders im Herbst. Und so konnte man heute im Halbdunkel sehen, wie eine Gestalt den Weg verließ und quer durch den Wald stolperte, zwischen eng stehenden Baumstämmen hindurch über Brombeersträucher und gefallene Äste. Wäre es nicht derart feuchtkalt gewesen, sie hätte sich womöglich mittendrin auf den weichen Boden gelegt und eine Weile so verharrt, regungslos.