Ich könnte mal wieder über das Chaos auf der Arbeit schreiben, die Komplexität, die mich täglich an den Rand meiner Konzentrationsfähigkeit bringt, oder über meine Schlafprobleme. Ich könnte etwas über den Fotokurs schreiben oder über meine Zufriedenheit, dass das dienstägliche Schwimmen nach der Arbeit jetzt zur festen Gewohnheit geworden ist, wiewohl ich nur wenig Fortschritt in Fitness und körperlichem Wohlbefinden ernte. Ich könnte etwas über zwei Jahre rauchfrei schreiben, oder über drei Jahre Bloggen, oder mich mal wieder über Innenpolitik aufregen.

Aber mir ist nicht danach. Ich habe schlicht nichts zu sagen. Statt wie sonst stundenlang vor Fernseher oder Rechner zu sitzen, Blogs zu lesen und selbst was zu tippen, lese ich abends lieber nur ein Buch, höre vielleicht etwas Musik (auch nur noch wenig) und schweige. Ich genieße das Schweigen. Wenn es ginge, würde ich es sogar auf der Arbeit tun. Je lauter es um mich herum ist, umso mehr. Und mir geht es nicht schlecht dabei, unter all der oberflächlichen Unruhe wohnt in mir derzeit eine warme Zufriedenheit. Für ein Blog ist schweigen natürlich doof. Aber im Moment geht es nicht anders. Wenn man so will, vielleicht eine Art von persönlichem Advent, eine Zeit des Leiseseins.

Zumindest das musste ich mal loswerden. Für die treuen Leser, die hier trotz Flaute regelmäßig vorbeischauen und denen ich eigentlich gerne täglich etwas Frisches servieren würde.
So, in der letzten Zeit konnte ich endlich meine Lieblingskolumnisten live erleben. Und beide kann ich nur empfehlen: Für Alltagssatiren und komische Verhörer, oftmals zum Tränenlachen, den verschmitzten Axel Hacke, und für die sprachlich umwerfende Gesellschaftsbeobachtung mit dem hintergründigeren Witz den leicht kauzigen Max Goldt. Beide schreiben nicht nur wunderbar, sondern können ihre Texte auch fesselnd vortragen. Gehen Sie hin.
Axel Hacke: Website, Tourplan
Max Goldt: Website, Tourplan
Gruppen von Krähen, wie sie sich vor dem windzerfetzten, abendroten Himmel rund um die Bürogebäude jagen. Ich wäre gerne eine von ihnen.

  
Heizpilz böööse
Auto böööse
Heizpilz böööse
So viele schöne Fotos (mit Möwen!) und dazu Tucholsky — das passte alles ganz wunderbar hierher. Vielen Dank den lieben Gästen, ich habe mich sehr gefreut.

(Jetzt muss ich wohl wieder alleine weiterbloggen. *seufz*)
Ich geh jetzt auch wieder nach Hause. Nett war's hier, vielen Dank für alles! Hier, noch ein paar Blümchen:


  

"Eine Möwe fliegt kreischend hin und her - mehr kann man doch wirklich nicht verlangen."
(Kurt Tucholsky)


  

wenigstens noch was mit möwen.
*feudelundwisch*


  

(Mehr zum Vergnügen als für die Praxis:) So wie es Romane gibt, die auf dem Prinzip der trennenden Tür aufgebaut sind – sie können zusammen nicht kommen, sei es, weil das Wasser zu tief ist, oder weil eine alte Tante dagegen ist, oder die Moral, oder das Geld –, fiele die trennende Tür, wir wüßten nicht, wo das Buch bliebe –; so gibt es auch Badeverwaltungen, die ein richtiges Familienbad für einen – wie sagt man? – einen Pfuhl halten. An der Nordsee hat man beim Baden keine Zeit, auf schlechte Gedanken zu kommen: man übersieht das meiste, freut sich, wenn man einen Menschen mit einem schönen Körper sieht, und planscht im übrigen im Meer.

(Kurt Tucholsky: Die Wand)


  

Es fließt ein Strom durch das deutsche Land,
drin spiegeln sich Schlösser und Zinnen;
er ist in den deutschen Gauen bekannt,
kein Refrain kann demselben entrinnen.
Und alle Romantik hat hier ihr Revier,
und je lauter das Rheinlied, je kälter das Bier
der kleinen und großen Verdiener.
Zum Beispiel so der Berliner:
»Ein rheinischet Meechen – beim rheinischen Wein –
Ja, Donnerwetter nich noch mal!
Na, det muß ja der Hümmel auf Erdn sein –!
Wat, Lucie –?«

Wer Lieder für Operetten schreibt
aus Prag, aus Wien und aus Bentschen –:
den Rhein möcht ich sehn, der da ungereimt bleibt –
es sind halt geschickte Menschen!
Und was sie dichten, ganz Deutschland grölts,
von Aachen bis Dirschau, von Kiel bis nach Ölz;
wo nur Treue und Weinbrand wachsen.
Zum Beispiel so unsere Sachsen:
»Ein rheinisches Mädchen – beim rheinischen Wein –
Nu heere mal, Agahde, was hasdn dn
Krachenschonr nich midgenomm? 's is doch
so giehle uffm Wasser?
Diß muß ja der Himmel auf Erden sein!
Eicha ... !«

Im Rhein, da quillt unsere Mannesbrust,
da liegen dicke Tantiemen;
und befällt den Deutschen die Sangeslust:
hier kann er das Ding unternehmen.
Es reimt sich der Rhein
auf Schein und auf Sein
und auf mein und auf dein,
auf Jüngferlein, Stelldichein, Gänseklein ...

Und ist auch zerklüftet das Deutsche Reich:
im Moorbad der Lyrik verstehn sie sich gleich.
Viel schneller als bei Richard Dehmel.
Zum Beispiel so jener aus Memel:
»Äin rhäinisches Mädchen – bäim rhäinischen Wäin –
äi, das muß ja der Himmel – auf Erden säin –
Wäißt, wenn dir der Wäin nich schmeckt,
jieß noch 'n kläin Schnapsche räin! –
Äi, das muß ja der Himmel auf Erden säin –!
Oder mäinst näin –?«
So ist der Rheinstrom ohne Fehle,
das Familienbad der deutschen Seele.

(Kurt Tucholski - Der Rhein und Deutschlands Stämme )


  
Manchmal, wenn ich der Ostsee den Rücken wende, der alten Frau, sehe ich in das schwedische Land Schonen hinein, die Ostsee plätschert, ich guck gar nicht hin. Denn wir sind verheiratet, seit ... zig Jahren – wir kennen uns, lieben uns, haben uns ganz leicht über, gehen mitunter ein bißchen auseinander, betrügen uns (ich sie mit der Nordsee, sie mich mit der Literatur auf Hiddensee –) – vor mir liegt Schonen. Ein hübsches Land; hier, wo ich sitze und meins in die Schreibmaschine klappere, ist es leicht gewellt, gar nicht so »flach wie ein Eierkuchen ....« Manchmal wohnen da Menschen, aber es sind hierorts nicht viel; das Badepublikum setzt sich aus 6 (sechs) Häuptern zusammen. Meinst du, es wäre eine hübsche Frau dabei? Keine ist dabei. Aber so ist es immer.
[Kurt Tucholsky - Heimweh nach den großen Städten]

  
Ich hab mich nie getraut zu fragen, wozu genau eigentlich so Pumpenhäuschen da sind.
 
Heute, am 15. November, wird der Server von Antville.org längere Zeit für einen Umzug abgeschaltet. Ich selbst werde leider von frühmorgens bis in die Nacht unterwegs sein, aber ich dachte mir, ich lasse mal Fr. Isabo, Fr. Grey, Hrn. Ichichich und Hrn. Nase die Schlüssel da. Fühlen Sie sich wie zuhause! Bloggen Sie, wenn und was Sie mögen. Der Kühlschrank ist rechts.

P.S.: Bitte keine Haustrolle mitbringen.

  
»Wir wollen keinen gläsernen Menschen. Wir wollen einen gläsernen Verbrecher.« [Siegfried Kauder am 9.11. in der Bundestagsdebatte über die Einführung der Vorratsdatenspeicherung]
Denn, liebe Kinder, das könnt ihr jetzt nicht wissen, aber im Keller bei der Polizei steht eine ganz, ganz schlaue Maschine, die kann die Guten von den Bösen unterscheiden. Und die Maschine passt ganz genau auf, dass die Menschen gar nicht rundum überwacht werden, mit wem sie telefonieren und so. Sondern nur die Verbrecher. Ist das nicht toll?

Morgen erkläre ich euch dann, warum Tiere erst im Käfig so richtig frei herumlaufen können.

  

Ein perfides Stück Ingenieurskunst nennt es mein Bekannter, der diese Falle einst auf einem Flohmarkt entdeckt hat. Das kann man wohl sagen. Sie funktioniert so:

1. Maus betritt die Falle, um an das bei
2. versteckte Futter zu gelangen, latscht dabei auf ein Brettchen, womit sich
3. die Tür hinter ihr schließt.
4. Maus wird irgendwann den einzig möglichen Weg entlang klettern, durch ein Rohr mit Widerhaken, durch das sie nicht zurück kommt, um dann
5. auf das obere Brettchen zu latschen, wodurch sie
6. runter rutscht, nebenbei
7. die Tür für ihre Nachfolgerin öffnet und
8. in einer Dose mit Wasser landet.
Ich bin ja ein wenig gehemmt, wenn es darum geht, Fremden mit der Kamera auf die Pelle zu rücken. Die Deckung als außenstehender Beobachter zu verlassen und mich selbst — anstatt mittelbar mit dem Teleobjektiv aus der Entfernung — in die direkte Nähe der Menschen zu begeben, fällt mir schwer, wenn es nicht gerade Verwandte oder Freunde sind. Schon zum Reflex geworden ist meine Reaktion, wenn ich beim Blick durch den Sucher bemerke, dass mich jemand anstarrt: Ich ziehe die Kamera weg und blicke dabei an ihm vorbei, als hätte ich ihn gar nicht fotografiert.

Gut, auch mit Teleobjektiv sind gute Bilder möglich. Doch wenn es um Action geht, darum, Menschen in der Bewegung des Augenblicks einzufangen, dann trifft schon Robert Capas Ausspruch, wonach du, wenn deine Bilder nicht gut genug sind, wohl nicht nah genug dran warst. Wenn viele Menschen sich gleichzeitig bewegen, entstehen vor dem Auge in Sekundenbruchteilen kräftige Bilder und verfallen ebenso schnell wieder in belanglosen, optischen Wirrwarr. Das von ruhiger Warte aus zu beobachten und im rechten Moment festzuhalten ist schon schwer. Begibt man sich nun ins Geschehen hinein, wird man selbst auch noch zum bewegten Punkt im Koordinatensystem, der gleichzeitig seinen Blickwinkel in allen Richtungen verändern und dabei womöglich auch noch selbst rück- oder seitwärts laufen muss.

So wie bei der Demonstration am Samstag in Nürnberg. Ich hatte nur am Tag zuvor im Polizeibericht die Ankündigung von Verkehrsproblemen gelesen, wusste also nicht einmal, was mich erwartet, außer dass »mehrere Tausend« Teilnehmer zu einer Demo in der Nürnberger Altstadt zusammenkommen würden. Eine gute Möglichkeit zum Üben, also den Fotorucksack geschnappt und hin. So stand ich, lief ich über drei Stunden lang mit (es stellte sich als Demonstration von Türken gegen kurdischen Terror heraus), war einerseits fast erschlagen von der Größe der Veranstaltung (7000 sagte die Polizei, ich hätte mehr geschätzt), andererseits positiv überrascht von der gutgelaunten Atmosphäre. Das sollte man nicht falsch verstehen; hier war viel Nationalismus zu spüren, und die vielen Sprechchöre auf türkisch, in denen das Wort PKK vorkam, waren sicher keine Segenswünsche. Aber der Aufmarsch war letztlich ein großes, fröhliches Familientreffen inklusive Oma und Kleinkind, und so hatte ich selbst zumindest keine Rempeleien zu befürchten; viele waren offen und schienen sich sogar zu freuen, dass ich sie ablichtete.

Die Zeit verging wie im Flug; eine Reihe Aspekte, die ich zeigen wollte (kleine Kinder, Bereitschaftspolizei, Fahnenmeer, fäusteschüttelndes Skandieren) konnte ich festhalten; mir gelang es sogar, die Abschlusskundgebung von oben zu fotografieren, mal eben vom oberen Stockwerk eines Drogeriemarkts aus durchs Fenster. Und dafür, dass es das erste Mal war, habe ich mein Ziel erreicht, sowohl ein paar brauchbare Einzelaufnahmen als auch eine ganze Serie als fotografische Dokumentation mitzubringen. Zumindest können sie neben der Bildfolge der Nürnberger Zeitung durchaus bestehen, finde ich.

Aber Himmel, gibt es noch viel zu lernen! Mich aktiver in die Menge zu werfen und bewusst auf Menschen zuzugehen, anstatt immer noch lieber den Unbeteiligten mimen zu wollen. Das sekundenbruchteilige Chaos vor der Linse besser in den Griff bekommen, hin auf Gesichtsausdrücke, Gesten, abgeschnittene Körperteile, Hintergrund etc., dazu die Aufnahmeparameter der Kamera immer im Auge behaltend (eine Konzentrationsaufgabe, die mir im gesamten Ausmaß derzeit schier übermenschlich scheint und meinen Respekt vor den Helden von Magnum ins Unermessliche wachsen lässt). Aber auch, dass ich für letztlich 30 gute Aufnahmen 360 mal auf den Auslöser drücken musste und die drei Stunden mit einer solchen Nervosität verbrachte, dass die Anspannung noch am Sonntagnachmittag in meinem Kopf war, daran werde ich wohl noch arbeiten müssen.

[Ich zeige hier nur ein paar Bilder; die Serie gehört erst einmal nicht hierher, sondern in meinen Fotokurs, wo sie mein Dozent sicher nochmal gut auseinandernehmen wird...]
Und eines Tages, wenn wir alle mit unserem implantierten RFID-Chip durchs Leben laufen, wird man uns an irgendeiner Supermarktkasse aufhalten, und wir werden dem Filialleiter und der hinzugerufenen Polizeistreife beweisen müssen, keine Dose Tomatenfisch zu sein.